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Rudolf Steiner als Architekt

Zweites Goetheanum, Westansicht

Rudolf Steiners Architektonisches Schaffen begann mit einer Innenraumgestaltung für den Jahreskongress der Theosophischen Gesellschaft 1907. Später fragte ein junger Student, Carl Stockmeyer, Rudolf Steiner nach einer Gebäudegestaltung für solche Innenräume. Daraufhin fertigte er ein begehbares Modell im Garten seiner Eltern (in Malsch bei Karlsruhe) nach den Angaben Rudolf Steiners an. Dieser Modellbau wurde später Vorlage für einen anthroposophischen Versammlungsraum in Stuttgart, der zu Beginn der Nationalsozialistischen Regierung in Deutschland abgebrochen wurde.

Das erste Goetheanum von oben

Das erste Goetheanum (1913-1922) 

In einem gemieteten Theatersaal in München wurde zwischen 1910 und 1913 jährlich ein Mysteriendrama von Rudolf Steiner aufgeführt. Aus dem Umkreis Rudolf Steiners kam der Wunsch, dazu wie auch zu Eurythmieaufführungen einen eigenen geeigneten Saal zu bauen. Nachdem sich in München Hindernisse zeigten, wurde der Bau auf geschenktes Land in Dornach bei Basel / Schweiz umgeplant.

1. Goetheanum - Westansicht

1913 begannen die Bauarbeiten, die sich während des ersten Weltkrieges verzögerten. Noch unfertig, brannte der Bau in der Silvesternacht von 1922/23 vollständig ab. Grundlegend war schon im Münchner Projekt die Grundrissgestalt: Zwei ungleich grosse Kuppelräume, die auf zwei ungleich grossen Rotunden ruhen, durchdringen sich gegenseitig.

Originalmodell des 1. Goetheanums

Durch die Art der Proportionen kann der Eindruck eines einzigen grossen gegliederten Raumes wie auch der von zwei Räumen entstehen. Mit den Säulen im Innern des Baues schliesst Rudolf Steiner an frühere Architekturepochen an. Gleichzeitig gestaltet er eine jede einzelne so, dass sich die Sockel- und Kapitellformen aus der Gestaltung der jeweils Vorangehenden ableiten und weiter entwickeln. Damit versucht er, der Gestaltung Entwicklungsgesetze des Lebendigen zugrunde zu legen (Goethes Metamorphose) und in neuen künstlerischen Formen auszudrücken.

Das Jupiter-Kapitell im Saal des 1. Goetheanums

Die Architektur verlässt damit das Statisch-Tote und beginnt, einen Entwicklungsweg zu beschreiben. Die Künste Architektur, Plastik, Malerei, Glasfenster werden vereinigt, um Raum zu schaffen für Weitere: die Musik, das Schauspiel und die Eurythmie. Mit diesem Bau ist der Versuch getan, dem in jedem Menschen schlummernden Höheren zur Entfaltung zu verhelfen.

2. Goetheanum - Südansicht

Das zweite Goetheanum (1924-1928)

Das zweite Goetheanum wurde gebaut als Zentrum zur Ausübung der weltweiten anthroposophischen Tätigkeiten. Es ist Sitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft sowie der freien Hochschule für Geisteswissenschaft mit ihren Sektionen. Das Gebäude wurde 1925-1928 als Nachfolgebau des ersten Goetheanum in Beton errichtet. 

Die räumliche Konzeption war im Prinzip die gleiche wie diejenige des ersten Baues: ein grosser Saal mit ca. 1000 (900) Sitzplätzen und eine Bühne für Schauspiel (Faust von Goethe, für Mysteriendramen von R. Steiner und andere Inszenierungen) wie auch für Eurythmie und Vorträge. Rudolf Steiner fertigte für das zweite Goetheanum ein Aussenmodell an, das Grundlage für die Baueingabepläne war. An der Ausführung des Baues konnte er nicht mehr mitwirken, da er im Frühjahr 1925 verstarb. Das erste Goetheanum war in seiner Gestalt stark durch geometrische Verhältnisse geprägt. 

Die einzelnen Formen jedoch waren in lebendige Bewegung übergeführt. Beim zweiten Goetheanum finden wir nun die Gestalt des ganzen Baues von dieser Bewegung ergriffen. Im Osten gleicht er einem verschlossenen Kubus, der aber, je weiter er sich nach Westen erstreckt, immer bewegter und dynamischer wird. Es scheint im Osten des Baues im Inneren verborgen etwas zu entstehen, was im Westen seine Offenbarung und Verwirklichung hinaus in die Welt findet. 

So bringen sich in diesem Bau zwei polare Weltenkräfte zum Ausdruck. Die eine ist in sich verschlossen, verbirgt etwas in sich, tendiert in die Schwere (Osten), die andere wendet sich nach aussen, teilt sich mit und tendiert in die Leichte (Westen). Doch zeigt sich in diesem Bau noch eine dritte Kraft, welche die ersten beiden ergreift und verbindet. Sie führt diese in eine gesteigerte Bewegung.

Die "Nebenbauten" 

Mit diesem Namen wird häufig eine Reihe von Gebäuden bezeichnet, die Rudolf Steiner in der unmittelbaren Nähe des Goetheanum entwarf. Sie bilden eine Einheit mit dem Hauptgebäude und mit der Geländegestaltung, die auch zum grossen Teil von Rudolf Steiner stammt. (Siehe Seite "Nebenbauten")

Heizhaus

Heizhaus (1914)

Im Heizhaus befindet sich die Heizanlage für das Goetheanum sowie für einige der umliegenden Häuser. Sieht man vom Sockelgeschoss des ersten Goetheanum ab, ist dies der erste Betonbau, den Rudolf Steiner realisiert hat. Er ist unterirdisch durch einen Kanal mit dem Hauptbau verbunden und liefert so die Wärme zur Beheizung der Räume. In einem Vortrag zeigt Rudolf Steiner auf, wie dieser Bau aus den Formen des ersten Baues heraus entwickelt worden ist. An diesem Bau findet man aber auch schon die Formensprache des in Beton errichteten heutigen Goetheanum vorgezeichnet.

Glashaus

Glashaus (1914) 

Das Glashaus wurde als Schleifatelier für die Fenster des Grossen Saales im ersten Goetheanum erstellt. Das Gebäude ist ein reiner Holzbau. Die Aussenwände sind mit Holzschindeln verkleidet, die Kuppeln mit norwegischem Schiefer gedeckt. Es erinnert in seinem Charakter noch am meisten an das abgebrannte erste Goetheanum mit seinen zwei Kuppeln. Die Fensterformen der beiden Rotunden entsprechen genau denjenigen des Grossen Saales im ersten Goetheanum. Das Glashaus kann als ein Gegensatz des Heizhauses empfunden werden. Hier bilden die beiden seitlichen Kuppeln den markanten Teil des Gebäudes. Beim Heizhaus hingegen sind die Kuppeln gleichsam nur noch verkümmerte Reste. In der Mitte jedoch erhebt sich der mächtige Schornstein.

Haus Duldeck - Westansicht

Haus Duldeck (1915) 

Das Haus Duldeck wurde errichtet als Wohnhaus für die Familie Grossheintz. Dr. Emil Grossheintz war Zahnarzt in Basel. Er schenkte wesentliche Teile des Geländes, um den Bau des ersten Goetheanum zu ermöglichen, nachdem sich in München der Verwirklichung Hindernisse in den Weg legten. Einige der Räume wurden als Gästezimmer verwendet. Schon zwei Jahre nach Beginn der Bauarbeiten des ersten Goetheanum errichtet, zeigt dieses Gebäude deutliche gestalterische Merkmale des später in Beton errichteten zweiten Goetheanum. Das Haus liegt im Westen des Goetheanum. Die Dynamik der Westseite des zweiten Goetheanum ist hier in gesteigerter Form vorweggenommen.

Haus Duldeck - Ostansicht

Eurythmiehäuser (1920)

Die sogenannten "Eurythmiehäuser" sind eine Gruppe von drei Wohngebäuden, welche für die am Goetheanum wirkenden Eurythmisten errichtet wurden. Die Wohnverhältnisse waren äusserst bescheiden. Es sind alles kleine Einzelzimmer. Einige haben in einem kleinen Nebenraum eine Kochgelegenheit. Die Badewanne für das ganze Haus ist jeweils im Keller. Gegessen wurde zumeist in der Kantine des Goetheanum. Am Entwurf beteiligt war die Bildhauerin Edith Maryon, welche selbst in einem der Häuser wohnte. Sie wurde später zur ersten Leiterin der Sektion für Bildende Künste am Goetheanum ernannt.

Haus De Jaager

Haus De Jaager (1921) 

Jacques de Jaager war erfolgreicher Bildhauer in Paris gewesen und arbeitete bei den Schnitzarbeiten des ersten Goetheanum mit. Schon 1916 verstarb der Künstler. Auf Anregung Rudolf Steiners baute Frau de Jaager für sich und die kleine Tochter ein Haus, in welchem auch der künstlerische Nachlass Jaques de Jaagers gezeigt werden konnte. So ist dieses Gebäude ein Wohnhaus und zugleich eine Gedenkstätte für einen verstorbenen Künstler. Der höhere, rote Gebäudeteil birgt das Atelier, der grau-blaue den Wohntrakt.

Trafostation

Trafostation (1921) 

Das für die Stromversorgung erstellte Transformatorenhaus ist ein deutliches Beispiel für Rudolf Steiners Bestreben, bis in alle Bereiche hinein zu gestalten. Alles um den Goetheanum-Bau herum sollte im Duktus des Hauptgebäudes gestaltet werden.

Eurythmeum-Anbau von Nordwesten

Eurythmeum-Anbau (1924)

In unmittelbarer Nähe des Goetheanum stand das Haus Brodtbeck, von welchem Rudolf Steiner einmal sagte: "...von dem wir sehr hoffen, dass wir es einmal erwerben können. Sie können sich denken, zu welchem Zweck - es stört natürlich den ganzen Aspekt des Baues". Dieses Haus konnte erworben werden, und so wurde ein Anbau daran angegliedert, der im Erdgeschoss einen grossen Eurythmiesaal birgt und im Dachgeschoss ein Atelier. Am alten Gebäude wurde ein neuer Eingang angebaut und eine zweigeschossige Veranda. 1935 wurde ein weiterer Anbau durch die Architekten Albert Baravalle und Ernst Aisenpreis realisiert, welcher einen Teil der Veranda verdeckt. Heute wird der ganze Baukomplex Rudolf Steiner-Halde genannt. Besonders charakteristisch sind die beiden Pfeiler, welche an der Westfront das Dach tragen. Diesen Bau entwarf Rudolf Steiner, als er sich mit der Bauform des zweiten Goetheanum innerlich zu beschäftigen begann.

Verlagshaus (1924)

Das sogenannte Verlagshaus wurde als Büchermagazin des Philosophisch-Anthroposophischen Verlages errichtet. Der Verlag musste in der wirtschaftlich schwierigen Zeit der Inflation von Berlin nach Dornach ziehen. Für die Konstruktion wurde eine Holzständerbauweise gewählt, da der Bau in sehr kurzer Zeit und mit sehr geringen finanziellen Mitteln realisiert werden musste. Auf dem Boden über der tiefen Eingangsnische war der Schreibtisch der Verlagsleiterin. Diese Gebäudeseite ist die einzige, welche Fenster aufweist. Der Magazinraum wird vor allem durch ein grosses Dachfenster erhellt.

Haus Schuurman - Westansicht

Haus Schuurman (1924) 

Rudolf Steiner gab den Entwurf des Wohnhauses für Max und Ida Schuurman in Skizzenform. Durch seine Erkrankung und den darauf folgenden Tod konnte er die Ausführung des Baues nicht mehr erleben. Dieses Haus steht östlich des Goetheanum. Seine kubische Gestalt erscheint wie eine Fortführung dessen, was im Osttrakt des Hauptbaues an strenger, kubischer Gestaltungskraft sichtbar wird. 

 

Weitere Bauten von Rudolf Steiner 

Haus Vreede, CH – Arlesheim, 1919 Haus van Blommenstein, CH – Dornach, 1919 Stuttgarter Eurythmieschule, DE – Stuttgart, 1923 (zerstört) Haus Wegman, CH – Arlesheim, 1924 

Luigi Fiumara, Henning Schulze-Schilddorf